Gerade sind Helge und ich als neue Stadtverordnete frisch gewählt worden, da flatterte uns gleich ein Magistratsantrag auf die Tagesordnung der ersten „richtigen“ Sitzung: nämlich ein Entwurf einer Informationsfreiheitssatzung! Informationsfreiheit, Transparenz und Antikorruption, das sind meine Lieblingsthemen – und der Hauptgrund dafür, dass ich 2011 in die Piratenpartei eingetreten bin! Seitdem habe ich mehrere Infofreiheitssatzungen entworfen, die sich vor allem an der sehr vorbildlichen Hamburger Transparenzverordnung orientiert haben. Einen sehr guten Entwurf haben auch die Datenschützer Rhein Main vorgelegt.
Ganz und gar im Gegensatz dazu ist der Magistratsentwurf jedoch eine Katastrophe: Alle wesentlichen Elemente fehlen, die erforderlich sind, um der Infofreiheitssatzung Substanz zu geben und aus der Satzung mehr als nur eine Informationsfreiheitsbehauptung zu machen.
Wir haben uns sofort daran gemacht, einen Änderungsantrag zu entwerfen, der neun Teile hat. Hierfür haben wir uns vor allem am Entwurf der DDRM orientiert, bei denen wir uns herzlich bedanken.
Vorab muss ich sagen, dass außer der Linken schlussendlich die anderen Fraktionen unseren Entwurf in allen Teilen abgelehnt und statt dessen für die Informationsfreiheitsverhinderungsverordnung des Magistrats gestimmt haben. Da konnte man man mal eine geschlossene Einigkeit von SPD, Grünen, FDP, FW und AFD (und zu den meisten Teilen auch der CDU) besichtigen.
In diesem Beitrag möchte ich die Bedeutung unseres Änderungsantrags erklären:
Teil 1: Wir wollen genauer definieren, welche Informationen zugänglich gemacht werden.
Wenn man es ernst damit meint, Bürger:innen politische Transparenz zu gewährleisten, ist der erste Schritt, klarer zu definieren, welche Art von Informationen zur Verfügung gestellt werden. Wir halten es also für dringend notwendig, diese Inhalte genauer zu beschreiben. Leider hat das die Koalition abgelehnt. Der gelb unterlegte Text in dieser Abbildung ist unser Zusatz
Wir verstehen nicht, was nach Ansicht der anderen Fraktionen dagegen spricht, genauer zu beschreiben, wo die Grenze zwischen zugänglichen und nicht zugänglichen Informationen liegen soll. Worin liegt der Vorteil der Unklarheit?
Teil 2. Informationen von städtischen Gesellschaften sollten zudem automatisch veröffentlicht werden, denn so lässt sich Geld sparen.
Die Bereitstellung von Informationen wird kostengünstiger, wenn sie automatisch erfolgt, statt erst auf Antrag. Wir haben daher die vorgeschlagene Liste ergänzt und beantragt, dass darin auch Infos von städtischen Unternehmen, Gesellschaften und Beteiligungen enthalten sein sollen, nämlich diese:
v Verträge der Eigenbetriebe und Unternehmen, die der Stadt zu mehr als 50% gehören,
w Rechnungsprüfungsberichte der Eigenbetriebe und Unternehmen, die der Stadt zu mehr als 50% gehören,
x Stellenpläne der Eigenbetriebe und Unternehmen, die der Stadt zu mehr als 50% gehören,
y Budgetpläne der Eigenbetriebe und Unternehmen, die der Stadt zu mehr als 50% gehören,
z Verträge, die von den Eigenbetrieben und Unternehmen, die der Stadt zu mehr als 50% gehören, abgeschlossen wurden
Wir fragen, warum die Öffentlichkeit hier keinen Einblick erhalten darf. Es gibt interessierte Bürger und Bürgerinnen, die wissen wollen, ob alles korrekt läuft, schließlich handelt es sich um unsere Steuergelder. Was ist so geheim an diesen Informationen?
Teil 3. Auch Personen, die nicht in Offenbach wohnen, sollen Informationen bekommen können, z. B. kritische Journalisten – das käme auch uns Bürgerinnen und Bürgern zugute.
Stellt Euch vor, es kommt eine Journalistin und will eine Recherche über die komplizierten Zusammenhänge beim Verkauf des Stadtkrankenhauses anstellen. Oder sie will Korruptionsvorwürfe klären und vielleicht entlasten, oder oder … also einfach ihren Job machen. Faktenbasierter Journalismus hat große Vorteile für uns alle, denn damit haben wir eine Chance, uns eine aufgeklärte Meinung zu bilden. Solche Journalisten arbeiten für uns – interessiert uns dann, wo sie jeweils ihren Wohnsitz haben?
Aaaaber: Nach der jetzt beschlossenen Info-Freiheitsatzung unserer Stadt wird das Gesuch der Journalistin abgelehnt werden: „Wie schaaaaade, leider, leider sind Sie nicht in unserer Stadt gemeldet, da kriegen Sie den Einblick in die Unterlagen nicht“.
Unsere Aktion: Wir haben in unserem Änderungsantrag gefordert, dass dieser Satz des Magistrats durch unsere Formulierung ersetzt wird. Der Magistrat hatte formuliert: „Die Satzung regelt den Zugang der Einwohnerinnen und Einwohner der Stadt Offenbach sowie juristischer Personen mit Sitz in der Stadt Offenbach zu den bei der Stadt vorhandenen amtlichen Informationen.“ Wir hätten dies gern durch unsere Formulierung ersetzt: „Die Satzung regelt den Zugang jeder natürlichen und juristischen Person zu den bei der Stadt vorhandenen amtlichen Informationen.“
Warum haben hier ausschließlich die Linken mit uns gestimmt?
Teil 4. Antragsteller brauchen einen möglichst niedrigschwelligen Zugang, dafür ist die Klarstellung der Zuständigkeiten nötig!
Teil 4 behandelt die Notwendigkeit, klare Zuständigkeiten und Verfahren festzulegen, damit Bürger:innen einen möglichst niedrigschwelligen Zugang zu Informationen bekommen. Auch das haben die Koalition und die anderen Fraktionen abgelehnt! Ohne Nachfragen, ohne Diskussion.
Also, stellen wir uns vor, Frau Çelik möchte wissen, warum ihr Antrag zur Förderung einer Hausaufgabenbetreuungsgruppe abgelehnt worden ist. Die erhaltene Begründung ist ihr zu vage. Also würde sie gerne Genaueres über die Entscheidungsfindung wissen und z.B. Sitzungsprotokolle einsehen, die Gründe für die Aufstellung von Entscheidungskriterien erfahren und mehr. Doch sie ist sich nicht sicher, wonach genau sie fragen sollte, wer für welche Bereiche zuständig ist und wie überhaupt das Verfahren abläuft. Auch hat sie Angst vor der damit verbundenen Bürokratie, die auf sie zukommt.
Da wäre es sehr gut, wenn sie an einer zentralen Stelle eine Ansprechperson hätte, die sie bei einer Informationsfreiheitsanfrage beraten und weitervermitteln könnte. Auch ein gut beschriebenes Verfahren würde enorm helfen.
In unserem Änderungsantrag haben wir genau das gefordert: eine erste Anlaufstelle und klare Regelungen dafür, wie Informationen entsprechend zur Verfügung gestellt werden sollen, damit Hemmschwellen für Bürger:innen abgebaut werden.
Leider haben die Koalition und fast alle anderen Fraktionen auch diesen Teil unseres Antrags abgelehnt.
Teil 5. Wir brauchen Fristen für die Bearbeitung eines Antrags, damit die Bereitstellung von Informationen nicht auf den St. Nimmerleinstag verschoben wird.
Wir haben beantragt, dass ein Passus in die Satzung aufgenommen wird, der eine Fristsetzung für die Bearbeitung des Antrags beschließt. Leider abgelehnt, kommentarlos!
Stellen wir uns vor, Herr Meier möchte wissen, warum ein Landschaftsschutzgebiet so und nicht anders geplant worden ist: Von zwei Grundstücken zählt eines dazu, das andere nicht. Und so unterscheiden beide sich dann plötzlich sehr stark im Wert. Er hat es geschafft, trotz fehlender zentraler Ansprechperson einen Antrag auf Einsicht in die Unterlagen zur Entscheidungsfindung zu stellen. Seitdem wartet er. Schon lange. Jedes Jahr fragt er mal nach, wann er denn wohl eine Antwort bekommt. Nichts.
Und so soll es bleiben? Bis jetzt ist es rechtens – nach der schlechtesten Informationsfreiheitssatzung im bundesweiten Vergleich, einer, die erlaubt, dass Bearbeitungen bis auf den St. Nimmerleinstag aufgeschoben werden.
Teil 6. Wir wollen klare Kriterien, nach denen Anträge abgelehnt werden dürfen, damit der Ermächtigung zu willkürlichen Ablehnungen nicht Tür und Tor geöffnet werden.
Im sechsten Teil unseres Änderungsantrags wollen wir definieren, welche Informationen nicht freigegeben werden müssen. Man könnte glauben, das sei doch eigentlich ganz im Sinne der Behörden, die nicht transparent sein wollen, oder? Zumindest würde eine genaue Definition den Antragstellern aber von vornherein klar machen, ob sie eine Chance auf Annahme haben, und es würde sie in bestimmten Fällen von den Bemühungen abhalten.
Nicht herausgerückt würden z.B. Informationen, die personenbezogen sind, die die öffentliche Sicherheit gefährden würden, außerdem solche, zu denen es ein Gesetz gibt, das ihre Veröffentlichung verbietet, oder Informationen, deren Veröffentlichung die Funktionsfähigkeit der Stadt beeinträchtigen und einige weitere.
Wie soll man verstehen, dass die meisten anderen Fraktionen auch dies abgelehnt haben? Sie ziehen nebulöse Richtlinien und einen Wust von Unklarheit vor, aber warum??? Kann es daran liegen, dass es ohne klare Definitionen für Behörden einfacher ist, willkürlich über Ablehnungen zu entscheiden? Dass es ohne klare Bestimmungen für die Antragsteller kaum möglich ist, auf ihr Recht zu pochen? Sollen wir annehmen, dass damit ein Freiraum gehalten wird, damit Begründungen auch ad hoc konstruiert werden können? Geht es also darum, dass bei so einer Unklarheit kaum noch nachvollziehbare Begründungen eingefordert werden können, was die Vorgänge für Behörden deutlich vereinfacht, für Antragsteller aber immens erschwert?
Nehmen wir mal an, die Firma Brakebusch & Lüder hat sich auf eine Projektausschreibung der Stadt beworben, doch leider hat die Konkurrenz den Zuschlag bekommen, was viele Menschen unverständlich finden. Es keimt der Verdacht auf, dass bei dieser Entscheidung irgendwelche persönlichen Seilschaften, Lobbyismus und ähnliches ausschlaggebend waren. Ein Informationsantrag wird jedoch abgelehnt, mit einer nur nichtssagenden Begründung.
Und weil die Satzung nichts klar Festgeschriebenes enthält, worauf man sich bei einer Beschwerde berufen könnte, verläuft dann alles im Sande.
Teil 7: In einer Infofreiheitssatzung muss ein „Trennungsprinzip“ enthalten sein!
Wir haben ein Trennungsprinzip für die OF-Info-Freiheitssatzung beantragt, und das heißt:
„Wenn nur Teile der begehrten Information den Schutzbestimmungen nach dieser Satzung unterliegen, werden die übrigen Teile der Antragstellerin oder dem Antragsteller zugänglich gemacht.“ Auch diese Berechtigung wurde leider von den anderen Fraktionen abgelehnt, wieder ohne Begründung und ohne Diskussion! Es sieht so aus, als hätten die anderen Fraktionen ein Interesse daran, dass die Ablehnung eines einzelnen Punkts innerhalb einer Liste von Informationen, die ein Bürger anfordert, dazu berechtigt, pauschal die gesamte Anfrage abzulehnen.
Ein neuer Schauplatz, der zeigt, wie sich diese Entscheidung auswirken kann: Herr Kopinski und Frau Peruzzi wollen bauen und haben bei der Stadt angefragt, ob es ein Erbbaupacht-Grundstück gebe, das man ihnen überlassen könne. Sie erhalten folgende Antwort: „Erbbaupacht-Grundstücke sind leider nicht disponabel.“ Nur ein paar Monate später erfahren die beiden, dass kürzlich ein Erbbaupachtgrundstück an ein anderes junges Paar vergeben wurde.
Daher stellen sie eine Informationsfreiheitsanfrage mit mehreren Teilen:
- Wer entscheidet über die Vergabe von Erbbaupachtgrundstücken?
- Wer hat über die Vergabe des Grundstücks an das andere Paar entschieden?
- Nach welchen Kriterien?
- Und sie möchten Einsicht in den Antrag des anderen Paares.
Diese Informationsfreiheitsanfrage wird pauschal abgelehnt, und zwar wegen Teil 4: Es würden sonst personenbezogene Informationen weitergegeben, was die DSGVO verbietet.
Die anderen drei Teile der Anfrage wären legitim, und dennoch: weil es eben in der Offenbacher Informationsfreiheitssatzung kein Trennungsprinzip gibt, werden auch sie nicht beantwortet. So hat die Verwaltung weniger Arbeitsaufwand und die Entscheider müssen für verbleibende evtl. unbequeme Nachfragen nicht Rede und Antwort stehen, Mauscheleien bleiben unentdeckt.
Die Abschottung von Informationen gegenüber Bürger:innen, für die die Unklarheit schicksalhafte Konsequenzen verursachen kann, ist unübersehbar. Die Bürger:innen müssen transparente Darlegungen der Abläufe einholen können. Und warum auch nicht? Die anderen Fraktionen müssten eigentlich wissen, dass sie umso stärker den Verdacht der Vetternwirtschaft auf sich ziehen, je höher sie die Mauer um relevante Informationen ziehen.
Teil 8: Wir brauchen einen Informationsbeauftragten, der interessierten Bürgern helfen würde.
In unserem Änderungsantrag haben wir außerdem die Einrichtung einer Stelle für eine/n Informationsfreiheitsbeauftragte/n gefordert. Welchen Vorteil würde die Beschäftigung eines/r solchen Ansprechpartners / Ansprechpartnerin bringen?
Nehmen wir mal an, dass Leute, die bereits vergeblich versucht hatten, eine Information zu bekommen, noch nicht aufgeben wollen, z.B. die Journalistin mit auswärtigem Wohnsitz (Teil 3), Frau Çelik ( Teil 4), Herr Meier ( Teil 5), die Firma Brackebusch & Lüder ( Teil 6) oder Herr Kopinski und Frau Peruzzi ( Teil 7). Sie suchen nach einer Lösung. Müssen sie einen Anwalt einschalten, um eine Chance zur Durchsetzung ihrer Interessen zu haben oder sollten sie tatsächlich doch besser ihr Anliegen fallenlassen?
Wenn es eine Informationsfreiheitsbeauftragte gäbe, hätten sie eine Ansprechperson, die dafür zuständig wäre, den Leuten zu ihrem Recht zu verhelfen. Sie würde sie rechtlich beraten und hätte das Recht, sich direkt an den OB zu wenden.
Leider wie bisher: Die meisten anderen Fraktionen stimmten auch gegen diesen Teil unseres Antrags. Es geht um Auskünfte, die die Menschen für ihre verantwortliche Mitbestimmung benötigen! Diese zu erhalten soll nicht zu einem aussichtslosen Kampf werden, der nicht durchzuhalten ist oder aber zwingend die Einbindung eines Anwalts notwendig macht – ein Schritt, der für viele Menschen eine hohe Hürde bedeutet? Wollen die anderen Fraktionen Voraussetzungen dafür schaffen, dass auskunftsuchende Menschen aufgeben und kein Verfahren haben, zu ihrem Recht zu kommen?
Teil 9: Auch Kosten sollen nicht abschrecken
Die Kosten, die Bürger:innen für den Vorgang, Informationen zu erhalten, zahlen müssen, sollten angemessen und einfach nachzuvollziehen sein. Die Satzung bezieht sich ausdrücklich auf die Bestimmungen des Hessischen Datenschutz- und Informationsfreiheitsgesetzes, in dem die Kostenfrage hinlänglich festgeschrieben ist. Gerade der Umfang einer Satzungsbestimmung sowie eine Verkomplizierung könnte dazu beitragen, Auskunftswillige von einer Antragstellung abzuhalten, und das darf nicht Absicht einer derartigen Regelung sein.
Was könnten die anderen Parteien gegen mehr Transparenz haben?
Wir PIRATEN haben uns Transparenz der politischen Vorgänge in Offenbach, Antikorruption, Bürgerbeteiligung und aufgeklärte politische Diskussionen auf die Fahnen geschrieben. Die Offenbacher und Offenbacherinnen haben uns dafür gewählt. Wir werden dranbleiben!
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