Kommunalwahl 2021 Verkehr

Radstraßen in Offenbach

Von Kai Kotzian.

Kai Kotzian, Kandidat auf der Kommunalwahlliste der Piratenpartei Offenbach.

Radverkehr ist ein komplexes Thema. Alleine Farbe auf eine Straße aufzubringen und ein neues Schild zu positionieren, ohne umliegende Dinge zu verändern, sind nicht die geeigneten Mittel, um sicheren Radverkehr zu gewährleisten.

Kai Kotzian kandidiert auf der Liste der Piratenpartei zur Kommunalwahl 2021 in der Stadt Offenbach. In diesem Artikel präsentiert er seine persönlichen Gedanken und Meinung zum Thema Radstraßen.

Radstraßen in Offenbach

Es bedarf politischen Mutes anzuordnen, dass Parkplätze am Straßenrand wegfallen. Es erfordert Maßnahmen des Straßenverkehrsamtes, damit Gebiete Anliegern vorbehalten sind und auch nur von diesen befahren werden.

Hierzu muss Verkehr auf umliegende Straßen verdrängt werden. Auch längere Wege für Anwohner müssen, als Biss in den sauren Apfel, in Kauf genommen werden, sonst können Radfahrstraßen nicht funktionieren.

Dies ist nicht nur eine Meinung eines bürgerlich Engagierten, sondern dieses ergibt sich auch aus Gesetzen und fachlichen Erkenntnissen.

Bild 1: Fahrbahn der Bleichstraße

Was sagt das Gesetz?

Die alleinige Definition der Fahrradstraße ergibt sich aus Lfd. Nr. 23 der Anlage 2 der StVO (Straßenverkehrsordnung) [https://www.gesetze-im-internet.de/stvo_2013/anlage_2.html]. ​​​​​​​​​​Es muss also unbedingt dafür gesorgt werden, dass Abstände zur Seite, zu den stehenden Fahrzeugen vorhanden ist, wenn ein Auto die Radfahrstraße entlang fährt. Prägendes Merkmal der Fahrradstraße ist die dort benannte Ausnahme vom üblichen Rechtsfahrgebot für Radfahrer. Dort heißt es: „Das Nebeneinanderfahren mit Fahrrädern ist erlaubt“ (Ziff. 3).

Der Vorrang des Fahrradverkehrs wird im oben benannten Text außerdem wie folgt betont: „Der Radverkehr darf weder gefährdet noch behindert werden“ (Ziff. 2 Satz 2). ​​​​Dieses ist eine erstaunliche und beachtliche Feststellung des Gesetzgebers. Radverkehr hat Vorrang vor dem Autoverkehr. Hieran müssen sich viele Automobilisten erst gewöhnen, und Veränderungen sind oft schwer zu akzeptieren.

Bild 2: Fahrradstraße Anfang

Ob andere Fahrzeuge die Fahrradstraße mitbenutzen dürfen, ist letztlich die Entscheidung der Verwaltung: Für alle anderen Verkehre kann die Fahrradstraße freigegeben werden. Auch wenn die Verwaltungsverordnung zur Straßenverkehrsordnung (VwV-StVO) hierzu sagt, das solle „nur ausnahmsweise“ passieren, ist es andererseits für eine Stadt selten möglich, die Zufahrt mit Kfz zu den einzelnen Grundstücken zu verbieten. ​​​​​​​In der Offenbacher Situation wird faktisch in Radfahrstraßen des bike.offenbach Programms immer der Anliegerverkehr zugelassen​​. Weil die Häuser keine zweite Zufahrt haben, muss eine Zufahrt für Pkws ermöglicht werden. Gilt das aber auch für den Lieferverkehr? Ohne es an dieser Stelle weiter auszuführen: Wäre es nicht sinnvoller, in Wohngebieten Paket-Hubs einzurichten?

Allerdings legt die Verwaltung der Stadt Offenbach die Freigabe für Anlieger so aus, dass immer die ganze Strecke der betreffenden Straße freizugeben ist. Das dürfte dem „ausnahmsweise“ zuwiderlaufen, denn es reicht ja, wenn Anwohner jeweils von der nächstgelegenen Kreuzung bis zu ihrem Haus fahren können. Einfahrtssperren durch Blumenkübel und Poller müssen deshalb an das eine Straßenende her.

In Bezug auf diese Rechtslage müssen wir also über die Mindestbreite der Fahrbahn sprechen. Eine Fahrradstraße muss nach den obigen Regeln so angelegt sein, dass in beiden Fahrtrichtungen der Radverkehr nebeneinander möglich ist (Ziff. 3).

In den Normen des Wegebaus wird einem Radfahrer ein Meter Straßenraum zugestanden und für ein Fahrrad mit Anhänger, in dem heutzutage oft Kinder transportiert werden, oder für ein Lastenrad sind unbedingt 1,30 Meter nötig, um ein funktionierendes Nebeneinander bzw. Überholen zu ermöglichen. Ja, auf einer Radfahrstraße muss auch das Überholen eines langsamen Radfahrenden möglich sein. Manch Autofahrer wird nun sagen, ganz schön viel Komfort für die wenigen Radfahrenden. Aber lassen wir das unerwidert. Mehr dazu lässt sich hier auf der Seite des Institutes für Innovative Städte lesen.

Das heißt, für jede Richtung sind 2,30 Meter Straßenraum vorgesehen. Bei zwei Richtungen braucht man also 4,60 Meter freie Fahrbahn. Natürlich kann diese Breite an Engstellen auch einmal unterschritten werden, aber es ist schon einmal ein guter Indikator, wo denn eine Fahrradstraße überhaupt passt. Man muss sagen, dass die Hospitalstraße in Offenbach nicht als Radfahrstraße geeignet ist. Weitere Gründe, die gegen die Hospitalstraße und auch ein Stück der Bleichstraße sprechen, werde ich gleich noch erörtern.

Bild 3: Fahrbahn der Hospitalstraße

Das Problem der Parkplätze

Das Problem der Parkplätze besteht aus meiner Sicht nicht darin, dass es zu wenige gibt, sondern dass sie am Seitenrand einer Radfahrstraße verlaufen. Wir brauchen in dicht besiedelten Wohngebieten unbedingt Quartiersgaragen, da in altem Baubestand zu wenig Hofparkplätze vorhanden sind. Man könnte nun sagen, okay, dann lasst sie doch am Straßenrand parken wie bisher. Warum das nicht geht, möchte ich gerne erläutern.

Die Mindestbreite der Fahrbahn neben Parkplätzen erhöht sich. Wenn in der Fahrradstraße Kfz-Parkplätze (längs oder schräg) entlang der Fahrbahn erlaubt bleiben, dann muss zwischen Fahrbahn und parkenden Autos ein Sicherheitsabstand (Türzone) von wenigstens 0,75 Metern vorgesehen werden. Diese Türzone ergibt sich aus Ziff. 2, Satz 2, „Der Radverkehr darf weder gefährdet noch behindert werden.“ Wenn auf beiden Seiten Parkplätze sind, dann ergibt das also 1,50 Meter. Von Parkplatz bis Parkplatz ergibt sich damit ein Gesamtabstand von mindestens 6,10 Meter.

Zusätzlich zu den benötigten Raumprofilen für das Begegnen soll ein Sicherheitsraum für Radfahrer zu parkenden Kraftfahrzeugen beachtet werden. Folgende Maße sind hierfür vorzusehen:

* Optimum: 0,75 m (Standardbreite von Sicherheitsräumen zu Parkständen nach den ERA 2010 (Empfehlungen für Radverkehrsanlagen)
* Minimum: 0,50 m (bei Längsparkständen und beengten Verhältnissen nach den ERA 2010)
* Maximum: 1,00 m (ansonsten Verwechslungsgefahr Fahr- und Sicherheitsraum)
Quelle: https://www.unserac.de/rats-infos/vorlage/beratungen/17299.html

Hier zwei aktuelle Beispiele, welche erst kürzlich von der Stadt Offenbach eingerichtet wurden: In der Bleichstraße sind es je nach Abschnitt zwischen 3,80 Meter und 4,60 Meter insgesamt. Für die geschützte Fahrbahn bleibt dann nur 2,30 Meter. In der Hospitalstraße kommt man an einigen Stellen auf weniger als 3,50 Meter. Man muss sich also fragen, warum die Stadt Offenbach bewusst nicht gesetzeskonforme Straßen einrichtet.

Es gibt jedoch weitere Anforderungen an Radfahrstraßen: Fahrradstraßen können in Erschließungsstraßen eingerichtet werden. Gemäß der Richtlinien für die Anlage von Stadtstraßen (RASt 06) darf die Kfz-Belastung dabei höchstens 400 Kfz/Spitzenstunde betragen –​​​​​​​ ein sehr hoher Wert, wenn eine Fahrradstraße tatsächlich funktionieren soll.

Bild 5: Karte Hospitalstraße

Ist dieser Wert für die Bleichstraße im Abschnitt Waldstraße bis Wilhelmstraße gewährleistet? Im Viertel gibt es viel Parkraum-Suchverkehr. Auch wurde von der Politik verlautet, die Zufahrt zu den Parkplätzen auf den Wilhelmsplatz müsse gewährleistet sein. Wie viele Autos kommen von der Seitenstraße des Wilhelmsplatzes und wie viele aus der Waldstraße? Passt das zusammen, um hier dem Radverkehr den gesetzlich vorgesehenen Vorrang einzuräumen?

Bild 4: Fahrradstraße Ende

In der oben genannten Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrsordnung (VwV-StVO) ist festgelegt, dass der Radverkehr die vorherrschende Verkehrsart sein muss oder dieses alsbald zu erwarten ist (Angebotsplanung). In Ziffer 2, Satz 3 steht: „Wenn nötig, muss der Kraftfahrzeugverkehr die Geschwindigkeit weiter verringern“ (siehe aus Lfd. Nr. 23 der Anlage 2 der StVO). Wird im Straßenverkehrsamt tatsächlich geglaubt, dass Autofahrer, die auf dem Wilhelmsplatz parken wollen, bereit sind, dort 10 bis 15 km/h zu fahren, um dem Radfahrer mehr Sicherheit zu gewähren?

Ziel einer Radfahrstraße ist es, den vorhandenen Radverkehr zu bündeln (Bündelungseffekt) und mehr Menschen zu motivieren, das Fahrrad zu nutzen (Verhaltensänderung). Auf gut gestalteten Fahrradstraßen mit wenig Kfz-Verkehr ist Radfahren objektiv und subjektiv sicher. Fahrradstraßen sind so etwas wie die Hauptstraßen für den Kfz-Verkehr: Sie stellen für Radfahrer eine klar erkennbare Trasse dar, auf denen sie Vorfahrt gegenüber einmündenden Straßen haben und zügig vorankommen können. Diese Ziele dürfen nicht geopfert werden, weil „der Wilhelmsplatz weiterhin gut für Autos erreichbar sein muss“, oder weil wir „den Autofahrenden nicht die Parkplätze wegnehmen können“.

Ausbleibende Maßnahmen zum Schutz der Radfahrer

Die technischen Regelwerke (Empfehlungen für Radverkehrsanlagen – ERA 2010 und Richtlinien für die Anlage von Stadtstraßen – RASt 06) enthalten bislang wenig Vorgaben zur Gestaltung. Dieses gibt der Stadtverwaltung erheblichen Freiraum in der Gestaltung. Hiervon können wir in Offenbach nichts erkennen.

Ein zentrales Element einer neu eingerichteten Fahrradstraße muss eine Angleichung der Fahrgeschwindigkeiten sein. Dieses ist in der Senefelderstraße misslungen. Durch die Aufhebung der Rechts-vor-Links-Regelung hat sich die Geschwindigkeit durch gesetzeswidriges Verhalten der Autonutzer erhöht: Maßnahmen dieses zu verhindern, sind nicht erfolgt. In Radfahrstraßen sind Maßnahmen zu treffen, um die Kfz-Geschwindigkeiten zu senken, z. B. durch einen regelmäßigen Verschwenk der Fahrgasse. Dieses Prinzip ist in keiner der in Offenbach eingerichteten Fahrradstraßen berücksichtigt.

Radstraßen durch Klagen verhindern

Ich möchte zum Abschluss noch auf ein Gerichtsurteil verweisen, nämlich auf ein Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover, das eine Fahrradstraße in Hannover für unzulässig erklärt hat. Ein wesentlicher Aspekt war für das Gericht dabei die zu schmale Fahrgasse, wie bereits oben erwähnt. Da Radfahrer in Fahrradstraßen nebeneinander fahren dürfen, erhöhe sich das Unfallrisiko. Im vorliegenden Falle hatte die Stadt Hannover darauf verzichtet, Kfz-Parken auf der Fahrbahn zu unterbinden und eine zu schmale Fahrgasse in Kauf genommen. [http://www.rechtsprechung.niedersachsen.de/jportal/portal/page/bsndprod.psml?doc.id=MWRE190002713&st=null&showdoccase=1]

In der Hospitalstraße befindet sich ein Quartiersparkplatz mit etwa 150 Stellplätzen [https://www.offenbach.de/verzeichnisse/yellowpages/common/wegweiser_80998.php]. Dieser wird u. a. auch von Kunden der nahe gelegenen Fußgängerzone und des angrenzenden Justizzentrums genutzt. Es ist unwahrscheinlich, dass sich dort durch die Einrichtung der Radfahrstraße der Kfz-Parkplatz-Suchverkehr merklich reduziert. Der Parkplatz in der Hospitalstraße induziert Kfz-Verkehr und es ist möglicherweise ausgeschlossen, dass hier jemals der Radverkehr die vorherrschende Verkehrsart wird.

Die Hospitalstraße wird entgegen der Einbahnstraße für Autos auch kaum von Radfahrern genutzt. Wo sollen sie auch hin? Niemand möchte die Kaiserstraße links hoch Richtung Bahnhof noch rechts runter Richtung Bürgerbüro fahren, da es keinen Radweg gibt und viel zu viel Autoverkehr vorhanden ist. Laut dieser Studie ist mit etwa 0,5 Autofahrten je Parkfeld und Stunde, also 75 Autos tagsüber alleine durch einen solchen Parkplatz gesetzt. Für den Wilhelmsplatz und die Bleichstraße sind entsprechende Berechnungen anzustellen.

Das Konzept der Radverkehrsstraßen in Offenbach und die Auswahl der Routen müssen also unbedingt zeitnah überdacht werden, bevor sie aufgroße Ablehnung bei der Bevölkerung führen.

Fachliteratur:

Thiemo Graf: Einrichtung von Fahrradstraßen., Herausg.: i.n.S.Institut für innovative Städte. 2018.

Bildnachweise:

Bild 1, 2 und 5: Jochen Terpitz, mit freundlicher Genehmigung. Simulator
https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/ (CC BY 4.0).

Bild 3 und 4: commons.wikimedia.org, Public Domain

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